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Montag, 29. Dezember 2014

Beim Spezialisten

So, nun war es endlich soweit und ich hatte meinen Termin beim Spezialisten im Spital. Ich war enorm zuversichtlich, dass dieser mir helfen konnte und nun endlich alles wieder gut würde. Ich wurde vom Assistenten des Oberarztes abgeholt für die Hörtests. Das waren aber nicht dieselben, die ich schon von meinem HNO Arzt kannte. Diese hier dauerten nämlich ganze 3 Stunden. Das heisst für mich 3 Stunden volle Konzentration. Im letzten Teil war ich schon so erschöpft, dass ich nicht mehr beurteilen konnte, ob die Geräusche nun aus dem Hörer kamen, oder ob dies mein Tinnitus war. Als ich dies dem Assistenten zu erklären versuchte, sah er mich schon etwas fragend an. Dass ein Tinnitusgeräusch derart variieren soll, das hätte er also noch nie gehört. Nach dem Test folgten noch die üblichen Fragen betreffend Familienkrankheiten und dann fragte er mich, ob ich Drogen konsumiere. Aha, war das nun die Schlussfolgerung  davon, dass ich ihm das mit meinen Tinnitusgeräuschen erzählt hatte? "Natürlich nehme ich keine Drogen!" antwortete ich etwas schroff.
Der nächste Test, war der Unangenehmste, den ich bisher hatte. Ich bekam wieder Kopfhörer aufgesetzt und einen Knopf in die Hand. Es ging nun darum zu sehen, wo meine "Schmerzgrenze" betreffend der Lautstärke liegt. Es kamen insgesamt 10 verschiedene Töne, die jeweils leise anfingen und dann immer lauter wurden. Wenn es so laut wurde, dass einem schwindlig wird, musste man dann den Knopf drücken. Meine Nerven lagen total blank, ich habe geschwitzt wie bei einem Jogging-Marathon und ich brauchte dringenst frische Luft. Und eine Zigarette.
Nach dieser wohlverdienten Frisch- und Giftluftpause, kam ich nun zum Spezialisten. Das war er also, mein Retter, Herr Doktor Professor Professor (ja, du liest richtig, 2 Professor-Titel, was soll da noch schief gehen?)
Als er dann anfing zu reden war ich schon etwas enttäuscht. Ich hätte mir schon gewünscht, dass er sich die Mühe macht, mit MIR zu sprechen. Er sollte es sich als Professor der Gehörklinik doch zu Herzen nehmen, dass ihn seine Patienten verstehen. Aber so funktioniert es wohl nur in meiner Welt (mehr dazu später). Stattdessen hat er alles meiner Mutter erklärt und ich musste erstmal warten. Ich hasse das. Es geht ja um mich, dann möchte ich es auch als Erste erfahren. Und ich brannte auf diese Informationen. Meine Mutter erklärte mir dann, dass er anhand von diesen Tests nun auch nicht mehr wisse als zuvor. Sie zeigte mir Diagramme mit Kurven, die kein Mensch verstand. Und meine Kurven weichten stark ab von den üblichen Kurven. Was dies nun genau zu bedeuten hatte, das war mir nicht bewusst, aber ich ahnte, dass ich das Spital nicht mit dem gewünschten Erfolg verlassen würde. Meine Mutter erklärte mir weiter, dass eben gerade wegen dieser Abweichung auch ein Hörgerät nichts bringen würde. Die einzig brauchbare Information, die ich dem ganzen Gespräch entnehmen konnte war, dass mein Hörnerv nicht ordnungsgemäss funktionierte. Aber um heraus zu finden, warum dies so ist, seien noch etliche andere Tests notwendig. Aber da ich ja keine akute Verschlechterung hatte, keine Schmerzen und auch in meinem Hirn alles soweit ok war, bestand ja auch kein Grund zu hetzen.
Liebe Geduld, warum warst du bei mir nur so geizig?

Dienstag, 23. Dezember 2014

Knigge

In den folgenden Tagen habe ich mir viele Gedanken gemacht und mich auch viel selber beobachtet. Während der Arbeit merkte ich, dass sich mein Gehör weiterhin verschlechterte. Telefongespräche wurden extrem anstrengend und es gab auch die ersten Missverständnisse. Ich habe damals am Empfang gearbeitet, in der Firma meines Vaters. Wenn ich an meinem PC sass, war die Eingangstür direkt hinter meinem Rücken. So passierte es, dass da Kunden standen und ich sie einfach nicht bemerkte. Einer ist dann mal ziemlich sauer geworden, kam von hinten zu meinem Schreibtisch, klopfte mit der Faust drauf und sagte: "Wie wär's mit arbeiten, anstatt zu schlafen?" Das waren dann so die Momente, wo der Wasserpegel in den Augen stieg. Man sagte mir dann, ich müsste mich in solchen Fällen beim Kunden entschuldigen. Aber wofür denn? Muss man sich wirklich entschuldigen für seine körperliche Beeinträchtigung? Oder musste ich mich für meine Mitarbeiter entschuldigen, die ja von meinem Leiden wussten und mich aber trotzdem alleine am Empfang liessen?
Wenn es auf der Arbeit jeweils Missverständnisse gab, da fiel mir auch extrem auf, wie man mich anschaute. Richtig prüfend, so à la: "War das jetzt wirklich ein Missverständnis oder hat sie das absichtlich gemacht, resp. nicht gemacht?" Ich spürte dann jeweils wie meine Backen schön warm wurden und sich zeitgleich wohl auch die Gesichtsfarbe zu verändern begann...  Wieso in aller Welt ist es so schwierig, wichtige Sachen schriftlich mitzuteilen?
Liebe hörende Menschen, ich war mal selber einer von euch ;-) und darum möchte ich euch helfen, mit einer kleinen Auflistung von Dingen, die wir Gehörlosen (oder Schwerhörigen) über alles lieben und schätzen.


  1. Bitte sprecht uns nicht von hinten an, da es nicht sehr effektiv ist.
  2. Sollten wir euch nicht bemerken, dann tappt uns nicht - so aus dem Nichts - von hinten auf die     Schulter.
  3. Schnurrbärte verdecken den Mund und machen das Lippenlesen nicht einfacher.
  4. Wir hören euch nicht besser, wenn ihr uns ins Ohr brüllt. Im Gegenteil. Das ist für uns genauso unangenehm wie für euch.
  5. Wenn wir euch nicht auf Anhieb verstehen, sagt nicht einfach: "Ach vergiss es:" Denn uns interessiert, was ihr uns mitteilen wolltet.
  6. Schaltet einen Film ein ohne Untertitel und sagt: "Du kannst dir ja einfach die wundervollen Bilder ansehen". Danke, die sind ja sooo toll!
  7. Schaltet für euch dann noch die Surround-Anlage ein, damit wir auch bei jeder Vibration ordentlich miterschrecken!
  8. Wenn wir sagen, dass wir schlecht hören oder gehörlos sind, dann müsst ihr antworten: "Ooooh, das tut mir sooooo  Leid"
  9. Redet bitte nicht ohne Mimik, ohne Punkt und ohne Komma.
  10. Zuletzt einer meiner Favoriten, ich höre ihn noch heute mindestens zwei mal die Woche: "...und wenn noch irgendwas ist, dann rufen Sie einfach an!"



Montag, 15. Dezember 2014

Platzangst

Etwa 10 Tage später war es dann soweit. Ich sass im Wartezimmer der Abteilung für Radiologie und füllte das Formular aus. Ich wurde noch gefragt, ob ich gerne ein Medikament zur Beruhigung hätte, aber ich dachte mir, dass es ja so schlimm nicht sein kann. Die paar Minuten würde ich schon überstehen. Als ich dann den Raum betrat, indem diese so genannte Röhre stand, wurde mir schon etwas mulmig. Ich musste mich hinlegen, bekam Oropax, Kopfhörer und ein Gitter übers Gesicht geklappt, welches 2 kleine, schräg gestellte Spiegel dran hatte. Die Ärztin gab mir noch einen Knopf in die Hand, welchen ich im Notfall drücken konnte. Jetzt bekam ich es mit der Angst zu tun. Und genau da sagte die Ärztin, dass in einer Stunde alles vorbei ist. Moment mal... eine Stunde? Und schon fuhr mein "Bett" in die Röhre hinein. Da wurde mir zum ersten Mal richtig bewusst, was Platzangst ist. Die Röhre war nämlich so klein, dass zwischen meinen Augen und der Röhre nur ca. 10cm waren. Die Spiegelchen an meinem Gesichtsgitter dienten dazu, dass man dadurch aus der Röhre rausschauen konnte. An eine leere, graue Wand. Wie Beruhigend! Als die Prozedur startete, fing es unter mir an zu rütteln und machte einen höllischen Lärm. Ich schloss meine Augen und versuchte krampfhaft an etwas Schönes zu denken. Aber ich fühlte mich wie in einem Sarg und draussen wütete ein riesiges Erdbeben.
Ich kann mich nicht mehr erinnern, wie oft ich meinen Notfallknopf gedrückt habe. Ich wurde rausgeholt, durfte ein paar Mal durchatmen und wurde wieder reingeschoben. Es kam mir vor wie eine Ewigkeit. Es ist schon verrückt, was einem das Hirn für Streiche spielen kann wenn man Angst hat.
Also ich dann rausgeholt wurde, ohne den Knopf gedrückt zu haben war ich so unendlich erleichtert. Und durchgeschwitzt. Jetzt aber nichts wie raus hier!
Einige Tage später konnte ich mir dann die Ergebnisse beim HNO abholen. Er sagte mir, es sei alles in bester Ordnung. Keine Auffälligkeiten und vorallem auch kein Hirnschlag. Ich durfte mir noch all die Nahaufnahmen meines Hirnes genau ansehen; das war schon ziemlich spannend! Mir fiel ein tonnenschwerer Stein vom Herzen. Da mein Arzt nun aber ein bisschen aufgeschmissen war, weil er eigentlich immer noch nicht wusste was da bei mir los war, schickte er mich zu einem Gehörspezialisten. Der Mann sei einer der Besten weit und breit und ich sei bei ihm gut aufgehoben. Dieses Mal verliess ich die Praxis glücklich, denn ich war gesund und erleichtert. Bereit für die nächste Herausforderug!

Donnerstag, 11. Dezember 2014

Die erste Diagnose

"Wenn ich mit meinem heutigen Wissen in die Vergangenheit gehen könnte..."
... dann hätte ich gewusst, dass man Probleme nicht mit einer solchen Wut im Bauch angeht.

Da sich also mein Tinnitus, (und somit auch mein Gehör) verschlechtert hatte, konsultierte ich erneut meinen HNO Arzt. Wiederum wurde mein ganzer Kopf durchleuchtet und diesmal sogar durchgespült. Ich muss dazu noch sagen, dass ich wirklich eine ganz schlimme Arzt-Phobie hatte. Schon beim Anblick der verschiedenen Utensilien, geschweige denn von Spritzen, sank mein Blutdruck in den Keller. Liebe Ärzte. Wäre es eventuell möglich diese langen, furchterregenden Metallstäbe so aufzubewahren, dass diese für uns Patienten nicht auf Anhieb sichtbar sind? Stell dir mal vor, du sitzt da im Behandlungszimmer und wartest auf den Arzt. Dies dauert meist leicht länger als 5 Minuten. Du hast also Zeit dich umzuschauen. Neben einem Diplom und ein paar Familienfotos an der Wand, entdeckst du dann diesen 30cm langen Metallstab, welcher an diversen Schläuchen angeschlossen ist. Du hast genügend Zeit dir zu überlegen, dass du diesen weder in Hals, Nase noch Ohr gesteckt bekommen möchtest. Aber item, ich wurde verschont. Stattdessen durfte ich meinen ersten Hörtest machen. Der erste Teil lief soweit ganz gut, der zweite Teil war schwieriger. Es wurden verschiedene Wörter vorgesprochen, die man wiederholen musste. Ich verstand ca. jedes 2. Wort und fand, dass ich mich ganz gut schlage. Der Arzt war dann bei der Auswertung anderer Meinung; er runzelte die Stirn und sagte mir, dass ich wahrscheinlich einen unbemerkten Schlaganfall hatte und der Gehörverlust nun die Folge sei. Da wurde mir zum ersten Mal vor Augen gehalten, dass es in einem solchen Fall keine Heilung gäbe für mein Gehör. Ich hatte die naive Vorstellung, dass man zum Arzt geht, um geheilt zu werden. Was sollte das nun? Er musste mir doch helfen können!
Der Arzt meldete mich also im örtlichen Krankenhaus an für eine Magnetresonanzuntersuchung (MRI) und sagte, sie würden mich dann in den nächsten Tagen aufbieten. Und mit diesen Informationen schickte er mich nach Hause. 
Du kannst dir sicher vorstellen, was auf dem Heimweg in meinem Kopf los war. Beim Wort "Schlaganfall" kommen einem ja automatisch diverse Bilder in den Sinn: Lähmungen, Rollstuhl, Tod... aber ganz bestimmt nicht gemütlich zu Fuss nach Hause zu gehen und auf einen Termin zu warten. Was wenn nochmal so ein Schlaganfall kommt? Vielleicht sogar ein Stärkerer? 
Ich wusste nicht mehr wo mir der Kopf steht, ich war wie auf Nadeln wegen dieser Warterei.

Montag, 8. Dezember 2014

Leidenschaft (Teil 3)

Eines Tages hatten wir 2 neue Mitglieder in unserer Gruppe. Die Eine hatte mich schon den ganzen Abend ziemlich verachtend angeschaut. Als ich sie am Ende des Trainings darauf ansprach, meinte sie, sie hätte mich öfters etwas gefragt und ich hätte sie ignoriert und sei einfach an ihr vorbei gelaufen. Da dies aber überhaupt nicht meine Art ist, habe ich mir schon so meine Gedanken gemacht. Auch meine Eltern hatten mich schon darauf angesprochen, dass ich nicht reagierte, wenn man mich von hinten ansprach. Ich hatte dann angefangen, mich selber ein bisschen zu beobachten und musste feststellen, dass sie recht hatten. Ich nahm an, dass der Tinnitus daran schuld sei, den ich ja nun schon ein paar Monate mit mir mit trug. Da mich diese Situation verunsicherte, beschloss ich zum HNO zu gehen. In der Praxis wurde ich dann erstmals ein bisschen belächelt. Eine junge Dame, die viel mit lauter Musik zu tun hat, ist ja schliesslich selber Schuld wenn ihre Ohren pfeift. Das waren natürlich nicht die Worte des Arztes, aber manchmal sagen eben Gesichtsausdrücke mehr als Worte. Nach sehr gründlicher Untersuchung sämtlicher Öffnungen des Kopfes, verliess ich die Praxis mit Gingko-Tabletten. Die sind für altersbedingte Durchblutungsstörungen. Ich war 20 Jahre alt... :-)
Ganz nach dem Motto: hilft'snicht, schadet's nicht, habe ich diese Gingko Riesenkapselkur brav durchgeführt. Jedoch ohne auch nur annähernd einen klitzekleinen Erfolg zu bemerken. Im Gegenteil: Mein Feind, der Tinnitus, war mehr präsent denn je!
Ich hatte je länger je mehr das Gefühl, dass der Tinnitus lauter wurde als es meine Umgebung war. Wenn ich mit jemandem ein Gespräch führte, war es, als würde man nebendran mit einer Maschine den Betonboden lockern. Mein Feind äusserte sich nämlich nicht als normaler Pfeifton; nein, er war viel besser und geschickter. Er passte sich den Umgebungsgeräuschen an. War es still um mich herum, dann hat er sich ausgeruht. War ich im Lärm, hat er lauthals protestiert und mir haarsträubende Tinnituslaute zugemutet. Mein Musikgefühl verabschiedete sich allmählich. Es brachte nichts, die Musik lauter zu stellen, denn mein Feind im Ohr war allzeit bereit dies zu übertönen. Eigentlich war das für mich noch kein Grund aufzugeben. Bis zu dem Tag, als ich deswegen einen Auftritt verpatzte. Auf der Bühne knieten wir alle am Boden, den Kopf vor den Knien ebenfalls am Boden. Die Musik fing an, alle begannen mit der Choreographie... Alle bis auf mich, denn ich hörte den Anfang der Musik nicht. Wahrscheinlich war es die Aufregung, die meinen Feind zum Schreien brachte. Ich hätte am liebsten zurück geschrien. Meine Freunde fanden das nach der Show ziemlich amüsant und ich war total überfordert. Für mich war es das Ende eines Traumes. Das Ende meiner Leidenschaft. Ein so kleiner Körperteil hat mir das gestohlen, was ich am meisten liebte. Ich war nur noch enttäuscht und wütend. Und mit dieser Wut im Bauch wollte ich mir die Antworten auf meine Fragen suchen.

Samstag, 6. Dezember 2014

Leidenschaft (Teil 2)

Ein weiterer Teil meines Herzens gehörte den Standardtänzen. Da ich so oft als möglich im Studio ausgeholfen habe, hatte ich die Möglichkeit, alles ziemlich rasch zu erlernen. Während meine Freunde durch die Clubs zogen, verbrachte ich viele Wochenenden in Dancings. Ich war nicht nur da, um den Altersdurchschnitt zu reduzieren, sondern auch um zu Lernen und zu Üben. Am Allermeisten hatte mich das Salsa in den Bann gezogen. Da habe ich nicht einfach "nur" zum Spass mitgemacht. Da hatte ich richtig grosse Ziele. Ich hätte ernorm gerne für die Meisterschaften trainiert. Leider war es sehr schwierig, auch einen Tanzpartner zu finden mit dem gleichen Ziel. Männer, die wirklich tanzen können, findet man etwa gleich oft wie Muscheln, in denen noch eine Perle ist. Gezwungenermassen musste ich also erstmal für mich alleine trainieren.
Zeitgleich zu alldem  habe ich eine Tanzgruppe gegründet. In guten Zeiten waren wir bis zu 8 Personen. Wir hatten zusammen diverse Auftritte. Zum Teil waren sie spitzenmässig und zum Teil haben wir ins Programm gepasst, wie eine Faust aufs Auge. Wir hatten erfolgreiche Höhen und enorme Tiefen, aber wir hatten alle etwas gemeinsam: Die Leidenschaft. Genau diese hat uns immer wieder zusammengetrommelt und uns weitermachen lassen.
Da es als Tanzgruppe sehr teuer ist, ein Tanzstudio zu mieten, trainierten wir so ziemlich überall. Von Turnhallen, über Clubs bis hin zu Jugendtreffpunkten. Bis wir dann unseren Stammplatz fanden: Das Pavillon im Stadtpark. Mit einem schlechten Ghettoblaster, der etwa 6 Riesenmonsterbatterien benötigte. Immer in der Hoffnung, dass sowohl das Gerät, wie auch die Batterien das Training überlebten. Wir haben dort getanzt bei 30 Grad im Schatten, bei Regen und bei Schnee. Manchmal mit spontanen Zuschauern, manchmal mit komischen Gestalten rundherum.  Die Stimmung war immer genial. Nicht mal die Dunkelheit konnte uns vertreiben. Wir sind oft bis spät am Abend dort geblieben, haben geredet und Ideen ausgetauscht. Pläne geschmiedet.

Donnerstag, 4. Dezember 2014

Leidenschaft (Teil 1)

Ich war nicht immer gehörlos. In meinen ersten 20 Lebensjahren hatte ich eine riesige Leidenschaft: das Tanzen.  Mit Bewegungen konnte ich mich ausdrücken, jegliche Art von Gefühl konnte ich in Bewegung umwandeln. Ich habe getanzt, wenn ich glücklich war und ich habe getanzt, wenn ich Dampf ablassen musste. Wenn ich mich zu Musik bewegen konnte, war ich wie in einer anderen Welt. Sie hat mich gefesselt, inspiriert und gefordert. Sogar abends, wenn ich im Bett lag und nicht schlafen konnte, dann habe ich in Gedanken einfach weiter getanzt. Und das gab mir so ein unendlich erfüllendes Gefühl. Ich war bei Weitem nicht so gut, wie ich hätte sein wollen. Aber genau das war die tolle Herausforderung.
Ich habe während einigen Jahren Kinderjazz unterrichtet. Es kommt mir vor, als wäre es gestern gewesen. Pünktlich wie die Bahnhofsuhr haben die kleinen Monsterchen die Studiotür eingerannt. Alle immer topschick gekleidet und mit grossen glänzenden Augen. Bis dahin wusste ich nicht, wieviel man aus Kindern herausholen kann, wenn man mit ihnen zusammen tanzt. Hemmungslos wurden die Hüften geschwingt und wir haben gespielt und gelacht. Ende der Stunde war ich jedesmal überrascht. Egal wie schwierig die Choreographien waren... wenn sie den Kindern gefallen haben, dann war nichts ein Hindernis für sie. Weder Tempo noch Synchronität. Es war eine wirklich  wunderbare Zeit mit ihnen.
Ich habe mich damals hauptsächlich durch Workshops weitergebildet. Zum einen bei Daniela Baumann und zum anderen bei Detlef Soost. Bei Detlef bin ich wahrscheinlich zum ersten Mal in meinem Leben an meine körperlichen Grenzen geraten. Nachdem wir uns zuerst eine Stunde aufwärmen mussten mit etlichen Liegestützen und anderen Übungen, die man noch wochenlang in den Knochen spürte, meinte er ganz locker: "So, jetzt fangen wir an." Danach hiess es, nochmals 3 Stunden durchzubeissen. Mich persönlich hat Detlef mit seiner Art dermassen motiviert, ich hätte mir lieber die Lunge herausgehustet, als aufzugeben. Das Gefühl nach einem erfolgreich abgeschlossenen Workshop war für mich einfach unglaublich. Eine Mischung aus Erschöpftheit, Schmerzen, Überforderung, aber auch Stolz. Unheimlich viel Stolz.